Weihnachtsgrüße der Propstei


„Jauchze und freue dich, Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will mitten unter dir wohnen, spricht der HERR.“ (Sacharja 2,14)

Die Weihnachtspredigt 2025

In Brüssel hat eine Krippe aus Stoff etwas geschafft, was Weihnachtspredigten selten erreichen: Menschen reden und streiten über das, was sie sehen – und über das, was sie glauben.

Seit Ende November steht sie auf der Grand-Place, mitten im Herzen der Stadt.
Keine geschnitzten Figuren, keine vertrauten Gesichter, auch kein anheimelnder Stall, sondern nur ein leichtes Zeltdach, unter dem die Heilige Familie notdürftig Schutz findet.

Auch die Krippenfiguren sind ganz aus Stoff gearbeitet und aus vielen verschiedenen Flicken zusammengenäht: bunt und zugleich zurückhaltend, brüchig und verletzlich.
Ihre Gewänder bestehen aus ganz unterschiedlichen Textilien – grobe und feine, helle und dunkle, neue und gebrauchte Stoffe.
Man sieht die Nähte, die Übergänge, die Stellen, an denen etwas zusammengefügt wurde.
Nichts ist glatt, nichts perfekt, nichts wird kaschiert.
Alles an dieser Krippe wirkt vorläufig, offen und schutzbedürftig, als reichte nur ein Windhauch, um sie vom Platz zu fegen.
Es ist diese Vorläufigkeit, die viele verstört.

Besonders irritierend sind die Köpfe der Figuren.
Auch sie bestehen nur aus schlichten Stoffflicken in Braun- und Beigetönen – ohne Augen, ohne Mund, ohne erkennbare Gesichtszüge.
Das Christkind ist ein kleines, in Lumpen gehülltes Bündel, das man beinahe übersieht, so unscheinbar ist es.
Diese Krippenfiguren predigen nicht, aber sie fragen die Vorübergehenden:
Wer bist du?
Woher kommst du?
Wonach sehnst du dich?

Manche fühlen sich dadurch provoziert. Andere aber fühlen sich gesehen, weil sie sich in Maria, Josef und dem kleinen Menschenbündel, das auf Zuwendung angewiesen ist, wiedererkennen. Denn diese gesichtslosen Gestalten erinnern an Menschen, an denen die meisten sonst achtlos vorbeihasten, weil ihr Anblick irritiert: an jene Männer, Frauen und Kinder in Brüssel, die rund um die Bahnhöfe leben und auf der Straße schlafen, weil sie keinen festen Wohnsitz haben.

Dass jene Flickengestalten nun als Heilige Familie auf einmal im Zentrum stehen – mitten in der Stadt, mitten im Lichterglanz, mitten im weihnachtlichen Einkaufsrummel –, empfinden viele als eine Zumutung sondergleichen. Denn Weihnachten ist für sie das Fest der Feste, an dem wenigstens einmal im Jahr alles gut ist: ein bisschen Himmel auf Erden. Ein schön gedeckter Tisch, ein Lichterbaum, vertraute Gesichter, Würstchen mit Kartoffelsalat, warmer Kerzenschein – ein Ort, an dem sie spüren:
Hier gehöre ich dazu.
Hier bin ich daheim.
Hier habe ich einen Platz.

Kann es sein, dass diese zusammengeflickte Krippe gerade deshalb so verstörend ist, weil sie uns einen Spiegel vorhält und uns darin Menschen zeigt, die sich danach sehnen, gesehen zu werden und einen festen Platz im Leben zu haben? Menschen, die Angst davor haben, im Letzten so unbehaust zu sein wie jene gesichtslosen Gestalten?

Mit Blick auf die vielen Veränderungen und Krisen, die uns gerade von allen Seiten bedrängen, frage ich mich in letzter Zeit immer öfter, ob die allgegenwärtige Müdigkeit und Erschöpfung nicht auch von dieser existenziellen Angst herrühren: dass wir Menschen auf Dauer keinen Platz auf dieser überhitzten Erde haben.

Vielleicht aber geht es an Weihnachten genau um diese Zumutung, die Menschen beim Anblick der Brüsseler Krippe empfinden. Die Weihnachtsgeschichte erzählt ja nicht vom Ankommen, sondern vom Unterwegssein; nicht von Palästen und heilen Familien, sondern von der Suche nach Herberge; nicht vom Eigenheim, sondern von einer Notunterkunft, von Angewiesensein und Abgewiesenwerden, von Gott, der Mensch wird – verletzlich, schutzlos, unbehaust.

Und so sind dann auch die ersten, die sie hören und miterleben, ausgerechnet die Hirten auf dem Feld vor den Toren der Stadt, am Rand der Gesellschaft. Sie sind die Flickengestalten von Betlehem. Würden sie heute leben, würden sie vielleicht auch rund um die Bahnhöfe unserer Städte schlafen und Maria und Josef eine Ecke in der B-Ebene finden.

So rückt diese Krippe die Weihnachtsgeschichte erstaunlich nah an uns heran.
Und genau darin liegt ihre Zumutung – und ihre Wahrheit.

Der Prophet Sacharja bringt diese Wahrheit in Worte, wenn er Gott in dunkler Zeit sagen hört:
„Jauchze und freue dich, Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will mitten unter dir wohnen.“

Das ist keine Beschreibung einer heilen Welt. Es ist eine Verheißung, gesprochen mitten hinein in Unsicherheit und Angst – zu Menschen, die zutiefst verunsichert sind, bedroht und unterwegs. Sie kommen aus dem Exil zurück und finden ihre Heimat in Trümmern vor.
Der Tempel ist zerstört, die Mauern Jerusalems niedergerissen, und auch das Miteinander in der Stadt muss neu aufgebaut werden. Wie es weitergeht, liegt völlig im Dunkeln.
Die Sehnsucht nach einer sicheren Wohnung, nach einem festen Dach über dem Kopf und nach Frieden im umfassendsten Sinn des Wortes wird da übermächtig.
Und in diese Sehnsucht hinein spricht Gott: „Siehe, ich komme und will mitten unter dir wohnen!“

Und „wohnen“ meint hier gerade nicht, sich fest einzurichten oder sesshaft zu werden.
Es erinnert vielmehr an jenes Zelt, in dem Gott schon einmal sein Volk durch die Wüste begleitet hat. Denn Gott bindet sich nicht an perfekte Orte, sondern an Menschen.
Gott schlägt sein Zelt auf – mitten im Vorübergehenden, mitten in einer Welt, die nicht fertig ist, mitten unter jene, die unterwegs sind: unbehaust, müde und erschöpft.
Menschen wie wir also.

Denn Gott ist es, der sich in unseren Flicken wiedererkennt und an Weihnachten den Verlorenen und Übersehenen ein Gesicht gibt – sein Gesicht.
Das Johannesevangelium sagt es so: „Das Wort wurde Fleisch und zeltete unter uns.“

Denn in diesem Menschensohn, so bekennen wir Christen, wohnt Gott unter uns,
damit wir ihn wiedererkennen im verletzlichen Gesicht eines anderen Menschen, damit wir Heimat finden, Frieden haben und nicht nur an Heiligabend sagen können:
Hier gehöre ich hin.
Hier habe ich einen Platz.
Und es auch glauben.

So hören wir in dieser Nacht die alte Verheißung neu:
„Siehe, ich komme und will mitten unter dir wohnen.“

Und wir dürfen sie mitnehmen – in unsere Wohnungen, in unsere Familien, in das, was uns müde macht, in das, was offen bleibt. Nicht als Anspruch, sondern als Trost in unbehausten Zeiten. Leise, zart und doch stark. Ein tastender Glaube, der trägt.

Denn das ist das Fest der Feste: nicht weil wir schon angekommen wären, und in Frieden und Sicherheit wohnen würden, sondern weil Gott in Christus sein Zelt unter uns aufgeschlagen hat und mit uns geht – in unseren Nächten, in unseren Brüchen und Flicken, in unserer Sehnsucht nach Frieden.

Bleiben Sie in diesem Weihnachtsglauben behütet und bewahrt.

Amen

 

Ein Artikel auf katholisch.de beschäftigt sich mit der umstrittenen “Krippe ohne Gesichter”, geschaffen von der deutschen Künstlerin Victoria-Maria Geyer, auf dem Brüsseler Grand-Place. Lesen Sie hier.