„Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis…“

Farideh Diehl

Lesen Sie den Weihnachtsgruß der Pröpstin für Rheinhessen und Nassauer Land, Pfarrerin Henriette Crüwell.

Liebe Menschen in der Propstei Rheinhessen und Nassauer Land, liebe Schwestern und Brüder, frohe Weihnachten!

Herzlichen Dank für die Weggemeinschaft im vergangenen Jahr. Danke für die Gespräche und Begegnungen, danke für ihren Mut, Ihre Ausdauer, Ihr Wohlwollen und Ihr Gottvertrauen! Ich freue mich auf die nächsten Etappen mit Ihnen!

Ich schreibe diesen Weihnachtsgruß an „Christmas Adam“, wie der 23. Dezember in den USA neuerdings genannt wird. Es ist ein Wortspiel. Denn der Heiligabend heißt im Englischen „Christmas Eve“. Und „Eve“ kann eben auch „Eva“ bedeuten. Und weil Adam vor Eva im Paradies war, zumindest meint das der zweite Schöpfungsbericht im Buch der Bücher berichten zu können, ist der Tag vor „Christmas Eve“ eben dem Adam gewidmet. Ein paar kreative Kirchenköpfe haben sich diese Gaudi ausgedacht, die es aber in sich hat und uns vielleicht das Geheimnis des Glaubens, in das wir uns an Weihnachten alle Jahre wieder hineintasten, neu erschließen kann. Denn vom holden Kind in der Krippe ist rund um Weihnachten so inflationär die Rede, dass es droht, wie die einst in Kindertagen geliebte Babypuppe (selbstverständlich blondgelockt) bestenfalls noch auf der Sofakante einen Platz zu finden. Und wenn dann der erwachsene Menschensohn nichts weiter mehr ist, als ein Vorbild, dem es nachzueifern gilt, dann ist Weihnachten auch nichts weiter mehr, als eine überdimensionierte Geburtstagsparty mit Krippenspiel anstelle der obligatorischen Diashow.

Christmas Adam und Eve erzählen eine andere Weihnachtsgeschichte. Ihre eigene nämlich. Ihre Geschichte vom Paradies, von dem einen Baum mittendrin, von dem zu essen ihnen Gott verboten hatte und dessen Früchte deswegen verlockender waren, als alle anderen, von der Schlangenlist, der Versuchung, dem Schwachwerden, vom verlorenen Vertrauen, der Scham, nackt zu sein und vom Cherub mit seinem Flammenschwert vor dem Tor zum Paradies, das hinter ihnen ins Schloss gefallen war. Aber vor allem erzählen sie von ihrem Heimweh und ihrer Sehnsucht nach Frieden. Jahrhundertelang haben sie an Heiligabend in der Kirche ihre Geschichte erzählen dürfen. Nicht der Stall von Bethlehem diente ihnen als Kulisse, sondern ein prächtiger Baum mit roten Äpfeln an seinen Zweigen und weißen Oblaten, die an das Abendmahl erinnern. Denn ihre Geschichte ist unsere Geschichte. Wir alle sind Adam und Eva. Menschen, die nach dem Apfel greifen, statt der Liebe zu vertrauen. Die Geschichte vom verlorenen Paradies ist die Geschichte unserer von Gewalt und Krieg korrumpierten Welt. Und auch wir stehen immer wieder vor verschlossenen Türen, nur gelegentlich erhaschen wir einen Blick hinein und wissen doch wohl alle tief drinnen in unserem Herzen, dass dort unsere Heimat ist und wir dort in Frieden sind.

Jeder Versuch, das Schloss von außen zu knacken und vor den anderen heimlich hineinzugelangen, schlägt fehl. Das Paradies können wir Menschen uns nicht selber machen. Wir landen höchstens in einem Schlaraffenland, wenn wir es doch versuchen. Unsere eigentliche Sehnsucht bleibt unerfüllt. Die Tür zum Paradies lässt sich nur von innen öffnen. Und zwar von jenem, der weiß, wie es um unser Menschenherz bestellt ist und der allein unsere Sehnsucht nach Glück und Frieden wirklich stillen kann. Der das Menschlichste der Menschen und das Göttlichste Gottes ist: Die Liebe.

Und so singen wir uns alle Jahre wieder in diesen Glauben hinein: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis!“

Wenn Sie an Weihnachten also vor dem Christbaum stehen, halten Sie doch bitte mal einen Moment inne: Wonach sehnen Sie sich in dieser Nacht ganz besonders, tief drinnen in Ihrem Herzen? Wie geht Ihre Geschichte mit Gott? Worauf hoffen Sie für sich, für Ihre Lieben und für unsere Welt?

Vielleicht wird dann jede Kerze, die Sie am Baum anzünden, zu einem kleinen Gebet um Licht, um Heil und Frieden für alle, die sich in dieser Nacht danach unendlich sehnen: für die Menschen in all den furchtbaren Kriegen, in Israel und in Gaza, in der Ukraine und in Russland, für die Menschen in Magdeburg, für die Einsamen, Kranken und Traurigen, für all die Müden, Verzweifelten und Erschöpften dieser Welt.

Der leuchtende Christbaum ist Zeichen der Hoffnung, dass Christus das Licht der Welt ist und dass er den Frieden bringt, den die Welt nicht geben kann.

Früher, ganz früher nannten die Katholiken uns Protestanten augenzwinkernd und ein bisschen spöttisch „Weihnachtsbaumchristen“, weil wir damit angefangen haben, am Heiligabend den Paradiesbaum in unsere Wohnungen zu holen.  Ich finde, das ist ein schöner Gedanke. Ja, wir sind Weihnachtsbaumchristen. Wir sind Christmas Adams and Christmas Eves, die sich alle Jahre wieder in das Geheimnis des Glaubens hineintasten wollen, von dem der Predigttext für die Christnacht bekennt: „Groß ist das Geheimnis des Glaubens. Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit“ (1 Tim 3,16)

Bleiben Sie auch im neuen Jahr in diesem Glauben behütet und bewahrt!

Es grüßt Sie ganz herzlich

 

Ihre Pröpstin Henriette Crüwell