„Mit dem Schuldbekenntnis vom 28. April 2023 hat sich die Evangelische Landeskirche in Hessen und Nassau verpflichtet, die bestehende Vielfalt von Geschlechtern, unterschiedlicher sexueller Orientierung und Lebensweisen anzuerkennen. Vieles ist auf dem Weg bis zu diesem Bekenntnis geschehen, viele mussten viel lernen. Dieses Treffen ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg eines solchen Verstehens. Es zeigt, dass wir uns als queere EKHN vernetzen und für mehr Sichtbarkeit, Akzeptanz und Unterstützung innerhalb der Kirche und darüber hinaus einsetzen“, mit diesen Worten begrüßte die Präsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Christiane Tietz, die rund 70 Teilnehmenden des ersten Queersensiblen Netzwerktreffens der EKHN.
Vielfalt als Grundlage für ein lebendiges und offenes Miteinander
Dr. Tietz betonte, dass Vielfalt und Buntheit die Grundlage für ein lebendiges und offenes Miteinander in der Kirche seien. „Doch so einfach ist das offensichtlich nicht“, räumte sie ein, „sonst wären sie nicht hier.“ Die Theologin blickte in der Kirche der Mainzer Evangelischen Studierendengemeinde in eine große Runde von Engagierten, die aus dem Gebiet der gesamten EKHN nach Mainz angereist waren. Ihr Wunsch: konstruktiv und kreativ über Ideen und konkrete Projekte zu reden, die „die queere Vielfalt an Geschlechtern, Lebens- und Liebesweisen für eine gute und sichtbare Teilhabe in Kirche und Gesellschaft braucht“, so der Referent im EKHN-Stabsbereich Chancengleichheit, Pfarrer Martin Franke-Coulbeaut, in seiner kleinen ins Thema einführenden Ansprache.
Ein Netzwerktreffen, das seinem Namen alle Ehre machte
Franke-Coulbeaut gehört zusammen mit der Pröpstin für Rheinhessen und das Nassauer Land, Pfarrerin Henriette Crüwell, Dr. Kerstin Söderblom, Studierendenpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde in Mainz, Monika Bertram, Schulseelsorgerin in Mainz, Pfarrer Reimar Cremer, Leiter des Zentrums Seelsorge der EKHN, Ilka Friedrich, Pfarrerin für Ökumene und Interreligiösen Dialog in Darmstadt, und Josephine Haas, Gemeindepfarrerin der Stadtkirchengemeinde Groß-Gerau, zum Organisationsteam der Veranstaltung. Jessica Hamm, Pfarrerin für digitale Gemeindearbeit und Social-Media-Arbeit in der EKHN, und Lutz Neumeier, ebenfalls Social-Media-Pfarrer der EKHN, moderierten das immerhin fünfstündige Netzwerktreffen, das seinem Namen alle Ehre machte.
Kirche zu einem sicheren Ort für queere Menschen machen
Warum aber nun dieses Treffen, nachdem die EKHN sich doch mit seinem Schuldbekenntnis von 2023 bei der queeren Community für die Diskriminierung von queeren Menschen entschuldigt und sich dazu verpflichtet hat, für die Anerkennung von Vielfalt und Diversität einzutreten? Dass so ein Treffen von vielen gewünscht wird, um den Worten (der EKHN) auch Taten folgen zu lassen, dass verdeutlichten etliche Statements an diesem Tag. Die junge Pfarrerin Josephine Haas, die zusammen mit Pröpstin Crüwell das queersensible Netzwerktreffen initiierte, berichtete eindrücklich von ihrem Gefühl, dass nach dem Schuldbekenntnis nichts so richtig in Bewegung kam, denn in der EKHN gäbe es z. B. immer noch Pfarrer*innen, die keine queeren Menschen trauen wollen. Ihre Hoffnung ist: „Nur wenn wir uns vernetzen, können wir dafür sorgen, dass Kirche ein sicherer Ort für queere Menschen ist.“
„Die Welt wird gerade wieder enger für Minderheiten“
Pfarrer Franke-Coulbeaut richtete in seiner Ansprache zusätzlich den Blick auf die schwieriger werdenden gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Akzeptanz queerer Lebensformen. „Die Welt wird gerade wieder enger für Minderheiten.“ Er forderte daher über die Grenzen der EKHN, die in der Evangelischen Kirche Deutschlands zusammen mit einigen wenigen anderen Landeskirchen als positiver Vorreiter in ihrer Haltung gegenüber der queeren Community gilt, hinweg: „Lasst uns gemeinsam anders – gemeinsam verschieden bleiben – gemeinsam anders Kirche werden. Bis alle willkommen sind.“
„Die Regenbogenfahne am Eingang der Kirche aufhängen reicht nicht“
Das Netzwerktreffen war aber bei weitem mehr, als nur ein reines gegenseitiges Bestärken darin, dass gemeinsames Handeln notwendig ist. Es war auch ein beeindruckender Austausch an Erfahrungen, die Möglichkeit – zumindest ansatzweise nachzuvollziehen – wie schwer der Weg Mancher war, bis ihr Anderssein akzeptiert wurde bzw. wie schwer dies immer noch in der Gesamtgesellschaft ist. Im Plenum gab es die Chance zu äußern, was Einzelnen als Klage, aber auch als Wunsch auf der Seele lag. Hier einige der gesammelten Statements: „Die Regenbogenfahne am Eingang der Kirche aufhängen, reicht nicht“, „Queersensible Arbeit wird eigentlich nur von Betroffenen gemacht und das auch noch unbezahlt.“, „Ich wünsche mir, dass eine in Bezug auf Queersensibilität gut geschulte Jugend nachwächst.“
Wissensplattform, Fortbildungsorte und Regenbogen-Hahn gewünscht
Das Orga-Team ergriff die Gelegenheit und gab den Startschuss für ein Barcamp, bei dem sich die Teilnehmenden in Gruppen mit der Realisierung vorher geäußerter Wünsche auseinandersetzen konnten wie der Erstellung einer Wissensplattform, die Schaffung von Fortbildungsorten zum Thema „Queersensible Arbeit“ oder eines Zertifikats für eine queersensibel geschulte Gemeinde (der „Regenbogen Hahn“ als Pendant zum EKHN-Umweltzertifikat „Grüner Hahn“). Und weil die Moderator*innen als Maßstab für die Veranstaltung „Nicht nur reden, sondern ganz konkret werden“ ausgegeben hatten, wurden zum Abschluss der Veranstaltung konkrete Aufträge zur Weiterentwicklung der Ideen an einige Teilnehmende vergeben. Eine Fortsetzung dieser mustergültigen Veranstaltung, bei der dann die Ergebnisse der Projektarbeit präsentiert werden, ist daher gewiss. Mehr Informationen zum Thema "Queer leben in der EKHN" finden Sie hier
Hier können Sie den Text des EKHN-Schuldbekenntnisses von 2023 nachlesen