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Gedenkveranstaltungen an jüdisches Leben stellen persönliche Schicksale in den Focus

„Nie-wieder“ ist zerbrechlich: Erinnerung als Mahnung

C.MetzmacherStimmungsvoll beleuchteten zahlreiche Kerzen den Ort der Gedenkfeier an jüdisches Leben auf dem Bad Emser Bahnhofsvorplatz in der Nähe des Wohnortes der ermordeten Jüdin Ruth Cohn.

An 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland wird im Jahr 2021 erinnert. Doch rund um den 9. November stand der Holocaust im Mittelpunkt. Zu welchen Gräueltaten Deutsche an Deutschen ab 1938 fähig waren, wurde zu Beginn dieses Monats mit zwei neuen Gedenkorten sowie einer Reihe von Gedenkveranstaltungen ins Bewusstsein gerufen.

B.-Chr.MaternGedenkveranstaltung an jüdisches Leben am 9. November 2021 in Lierscheid mit Pfarrer Andreas Pohl

RHEIN-LAHN. (15. November 2021) An 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland wird im Jahr 2021 erinnert. Doch rund um den 9. November stand der Holocaust im Mittelpunkt. Zu welchen Gräueltaten Deutsche an Deutschen ab 1938 fähig waren, wurde zu Beginn dieses Monats mit zwei neuen Gedenkorten sowie einer Reihe von Gedenkveranstaltungen ins Bewusstsein gerufen. Sowohl die persönliche Betroffenheit als auch die Mahnung vor aufkeimendem Hass in der Gesellschaft samt eines zunehmenden Antisemitismus wurden dabei in den Fokus gerückt. Beispiele aus Bad Ems, Lierschied, Miehlen und Ruppertshofen:

„Wir wollen nicht anklagen und verurteilen, sondern mahnen“, sagte Ursula Strack während der Einweihung eines Gedenksteins für die Familie Grünebaum in Lierschied. Zusammen mit Regina Watkin-Kolb hatte sie sich für das sichtbare Denkmal eingesetzt. Ihre Mutter sei eine Schulkameradin der beiden siebenjährigen Zwillingsmädchen gewesen, die deportiert und im KZ Theresienstadt ermordet wurden. „Wir wollen mit diesem Gedenkstein ein Mahnmal setzen, um zu zeigen, dass man sie nicht vergessen hat“, so Strack. Ähnlich bewegend schilderte in Ruppertshofen Jürgen Redert, wie es dort zur Errichtung eines Gedenksteins gekommen ist. Ellen Stein hatte bereits vor vielen Jahren zum Schicksal der ehemaligen Einwohner jüdischen Glaubens recherchiert und ein Buch zusammen gestellt. „Gemeinsam leben mit Milian und Sarah – Juden in Ruppertshofen“ ist der Titel. „Nach einer Erinnerung an diese Zeit, etwa in der Dorfchronik habe ich vergeblich gesucht“, sagte Redert. Es sei bewegend, dass jetzt ein blinder Fleck in der Geschichte des Dorfes verschwindet.

Das Unrecht könne durch Totschweigen nicht ungeschehen gemacht werden, betonten an beiden Orten die zuständigen Pfarrpersonen Nicole Wiehler (Ruppertshofen) und Andreas Pohl (Lierschied).„Das Nie-wieder ist zerbrechlich geworden“, sagte Pohl; nur mit dem Erinnern, das den einstigen Nachbarn ihre Würde zurückgebe, habe es eine Chance. „Danke für Ihren Mut und Ihre Klarheit und für die Arbeit“ hatte Renate Weigel, Dekanin des evangelischen Dekanats Nassauer Land in einem verlesenen Grußwort formuliert. „Die Menschen, deren Namen auf ihm zu lesen sind, haben einmal hier gewohnt. Sie gehörten dazu. Unter der Nazi-Herrschaft entschied man, dass sie nicht wert seien zu leben. Sie wurden abtransportiert und ermordet“, so Weigel. „Und dann begann das große Schweigen. In dem großen Schweigen wurden sie noch einmal für nichtig erklärt. Gut, dass das ein Ende hat! Wir geben heute denen, die so großes Unrecht erlitten, einen Platz. Wir nehmen sie wieder auf in unsere Gemeinschaft. Wir bergen die Erinnerung, auch wenn sie schmerzt.“

 

Als offene Frage bleibe zwar das „Warum?“, sagte Landrat Frank Puchtler, umso wichtiger sei aber das Erinnern, um dazu zu lernen, achtsamer zu sein und zu schauen, wie es den anderen geht. Die Steine seien eine Mahnung, solche Wege nicht wieder zu beschreiten. Und es freue ihn, dass junge Menschen am Gedenken teilnehmen. Mit Blick auf das Unesco-Welterbe Oberer Mittelrhein könne man auf die Initiatoren und die beiden Orte stolz sein, dass sie zur Geschichte stehen. Den Bezug zur Gegenwart stellten unter anderem die Verbandsgemeindebürgermeister Jens Güllering (VG Nästätten) und Mike Weiland (VG Loreley) her. Letzterer erinnerte an den Fußballer Jérome Boateng, der den zunehmenden Rassismus beklagte. Wieder sei die Gesellschaft dabei, Menschen in Schubladen zu stecken. „Wir sollten stolz sein auf die Vielfalt der Kulturen in unserem Land“, so Weiland. Es brauche des Gedenkens, damit die Zukunft besser wird und nicht dieselben Fehler gemacht werden.

Nicht nur mit Musik, die in Konzentrationslagern komponiert wurde, umrahmten Odelia Lazar und Detlef Wienecke die Gedenkstunden, sondern auch mit dem Volkslied „Kein schöner Land“, das deutlich machte, dass der Holocaust deutsche Menschen und Nachbarn ermordet hat.

Sehr persönliche Erinnerungen standen ebenso am 9. November in Miehlen im Focus. Der Theologe Dr. Marc Fachinger vom Bistum Limburg zeigte in seinem Vortrag „…denn sie hatten einen Namen: Bertha (1901-1944) und „Fritz“ Fred Strauss (1926-2013), geboren in Miehlen.“ eindrückliche Bilder und das Video eines Zeitzeugen. In diesem berichtet der in Miehlen („a small town called Miehlen“) geborene Fred Strauss, der einen Freund namens Hermann hatte, wie er durch zunehmende Anfeindungen und sogar Steinwürfe auf ihn aus seiner unbeschwerten Kindheit gerissen wurde. Strauss, der 1941 mit dem Schiff nach Amerika kam, starb 2013, das Video stammt von 1996. Im Anschluss an den berührenden Vortrag wurde auf dem Marktplatz während einer Mahnwache wieder der ermordeten Miehlener jüdischen Glaubens gedacht. Lieder der jüdischen Widerstandskämpferin Channah Senesh, gesungen von Gemeindepfarrer Michael Wallau mit Klavierbegleitung von Lisa Dohr und zionistische Lieder gespielt von Conner Sorensen und Rudolf Raab umrahmten den Vortrag im Gemeindehaus und die Mahnwache an der Gedenktafel.

Zum Gebet und Gedenken hatte die Ökumene-Pfarrerin des Dekanats Nassauer Land Antje Müller nach Bad Ems eingeladen. Treffpunkt war in diesem Jahr der Bahnhofvorplatz unweit des Wohnhauses von Ruth Cohn, an deren Leben in der Mainzer Straße 7 ein Stolperstein erinnert. Auch Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums und der Realschule plus wirkten beim Gedenken mit ihren Lehrern David Schmidt und Elisabeth Knopp mit, verlasen mit den Dekanatsmitarbeitenden Claire Metzmacher, Matthias Metzmacher und Ralf Skähr-Zöller etwa die Namen der Opfer, für deren Seelen die Kerzen in der Mitte des Platzes brannten. Schüler des  Goethe-Gymnasiums hielten ein Referat über das Schicksal von Ruth Cohn. Besonders bewegend war der hebräische Gesang des Projektchores „Schir“ unter Leitung von Jochen Liefke und der gesungene Psalm von Schwester Jerusalem, einer griechisch-orthodoxen Nonne jüdischer Abstammung, die jetzt im Kloster Arnstein lebt.

Dr. Christoph Simonis von der jüdischen Kultusgemeinde Koblenz trug einen Psalm in hebräischen Sprache vor und betete das jüdische Gebet „El Male rachamim“, bevor Antje Müller zum gemeinsamen Vaterunser einlud und die Anwesenden mit dem Aaronitischen Segen, einem Segensspruch der jüdischen Tora, verabschiedete.

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